Auf meiner Wunschliste, die ich vor meiner Weltreise erstellt habe, stand neben vielen anderen Punkten, die ich bereits abhaken konnte, auch, mindestens einmal ein Workaway zu machen. Und da ich mir Kanada sowieso nur schwer leisten kann, bietet sich dieses riesige Land dafür perfekt an. Workaway bedeutet, dass man seine Arbeitskraft für einige Stunden am Tag anbietet und dafür freie Kost und Logis bekommt. Über die passende Plattform hatte ich bereits aus den USA Kontakt zu Pat und Doug aufgenommen, die in der Nähe von 100 Mile House, rund 2 ½ Stunden nördlich von Kamloops, ihre kleine Farm haben. Dort leben mit ihnen sechs Pferde, ein Hund, drei Ziegen, 40 Hühner und zehn Truthähne.
Nach siebenstündiger Busfahrt von Vancouver nach 100 Mile House sammelt mich Doug an der Haltestelle ein und packt meinen Rucksack auf die Ladefläche des Trucks. Zunächst drehen wir zwei noch eine Runde durch den Supermarkt und dann geht es los: Wir verlassen das kleine Örtchen und die einsame Straße führt uns immer weiter weg von der Zivilisation. Durch das Fenster bestaune ich die Landschaft mit sanften Hügeln, zotteligen Kühen auf grünen Wiesen und immer wieder kleinen Seen, die sich in die Täler schmiegen. Irgendwann biegen wir auf einen unbefestigten Weg ab und treffen nach weiteren fünfzehn Minuten auf der Farm ein. Es ist genauso, wie ich mir eine Farm in Kanada vorstelle. Die langgezogene Auffahrt führt zu einem großen Blockhaus und ich erspähe sofort das, auf was ich mich am meisten gefreut habe – die Pferde. Als ich aus dem Truck steige hüpft sofort Duke, der Hund der Familie, um mich rum und ich begrüße meinen neuen besten Freund für die nächsten vier Wochen.
Workaway Canada: : Mein neues Zuhause ist eine Hütte im Wald
Nachdem mich Doug durch das Haus und das Gelände darum geführt hat, beziehe ich meine kleine Hütte, die etwas entfernt am Wald liegt. Dort werde ich wohnen, bis Doug und Pat in den Urlaub fahren. Denn genau das ist die wahre Herausforderung an meinem Workaway. In zehn Tagen werde ich alle Abläufe auf der Farm kennenlernen, kann all meine Fragen stellen und dann mach ich das einfach mal alleine. Und ich meine GANZ alleine. Die Farm liegt abgeschieden, Nachbarn und Handyempfang gibt es erst in 10 km Entfernung. Aber ich werde das schon hinbekommen. Für mich ein nächster, sehr großer Schritt raus aus meiner persönlichen Komfortzone. Ich werde versuchen, meine ganz ureigenen Ängste vor dem Alleinsein in der kanadischen Einöde zu bekämpfen und versuchen, meine Gedanken an axtschwingende Psychopathen aus meinem Kopf zu verbannen.
Workaway Canada: Von den Gefahren des kanadischen Farmlebens
Unseren ersten Abend verbringen Pat, Doug und ich bei einem wunderbaren Abendessen in der wunderschönen Küche, erzählen aus unseren Leben und spielen stundenlangen Karten. Und wir sprechen über Bären … denn die gibt es hier nicht zu wenig. Doug erklärt mir, wie ich mich zu verhalten habe, wenn ich wider Erwarten doch direkt auf einen treffen sollte. Bei diesem Gespräch wird mir ganz mulmig und ich merke, dass ich nicht so unbekümmert durch den Wald tapsen werde, wie ich es zu Hause mache, wo die größte Gefahr ein wildgewordenes Wildschwein ist. Wenigstens befinde ich mich hier am Rande des Wells Gray Nationalparks in einem Gebiet, wo es „nur“ Schwarzbären gibt. Grizzlies findet man hier nicht. Natürlich ist mit beiden nicht zu spaßen, aber der Grizzly ist doch noch mal eine andere Hausnummer.
Doug erklärt mir das so: Schwarzbären sind fauler als Grizzlies und haben in der Regel nicht wirklich Lust, richtig für ihr Essen zu kämpfen. Wenn man sich also größer macht als man ist (Äste in die Hand nehmen!) oder am besten noch auf einem Pferd sitzt, nehmen sie meist Reißaus. Für mich wird die Regel eingeführt, dass ich immer Duke an meiner Seite habe, sobald ich die nähere Umgebung des Hauses verlasse. Und wenn ich im Wald bin, soll ich singen, laut mit Duke sprechen oder Musik hören, um mich anzukündigen und keinen Bären zu überraschen.
Workaway Canada: Mit Enrique Iglesias gegen wilde Bären
Als ich wenig später vor die Haustür in die Dunkelheit trete, tue ich das mit einem komischen Gefühl. Ich schaue mich um und erwarte eigentlich, dass sich aus dem Stockfinsteren gleich ein Bär auf mich stürzt. Also setze ich einen der Tipps gleich mal um und drehe meine Latin Pop-Playliste auf volle Lautstärke, als ich mich zu Fuß, bewaffnet mit Taschenlampe, auf den Weg zu meiner Hütte mache.
Jedes Knacken in der Dunkelheit jagt mir Schauer über den Rücken und als meine Taschenlampe auf ein Paar Augen im Wald zu meiner Linken trifft, bleibt mir fast das Herz stehen und ich verfluche, dass ich das Angebot mich zu meiner Hütte zu fahren so locker-flockig abgelehnt habe. Enrique Iglesias plärrt aus dem Lautsprecher meines Handys und ich schaue nochmal genauer nach, was mich da aus dem Dunkel anstarrt und, ach, mein Herz setzt wieder ein, es ist nur Ivy, die Katze. Auf den letzten Metern setze ich auf die Abwehrtipps noch einen drauf und singe mit Enrique um die Wette. Als ich endlich die Tür zu meiner winzigen Hütte aufgeschlossen habe, den Raum nach Bären abgesucht habe und die Tür hinter mir zuschließe, bin ich ehrlich gesagt fix und fertig!
Workaway Canada: Lasst die Spiele beginnen – meine Arbeitsroutine
Mein erster „Arbeitstag“ beginnt damit, dass Doug und ich die Hühner aus ihrem Stall lassen, die frischen Eier aus den Nestern holen und dem Federvieh Futter und Wasser geben. Danach geht es zu Jewels, Ringo und Petunia, die Ziegen, die schon an dem Gatter rütteln, denn sie wollen raus zum Grasen. Ich ziehe ihnen die kleinen Halfter über, öffne das Tor und werde von den Dreien über das Gelände geschleift. Drei Ziegen am Strick, die alle in eine andere Richtung möchten und sich ineinander verheddern, können einen schon überfordern. Ich binde die wilde Bande an Pfählen fest und sie stürzen sich auf das frische Gras um sie herum.
Als nächstes stehen Duchess und Tui auf dem Plan, zwei der sechs Pferde, die ich betreue. Die restlichen vier befinden sich auf den riesigen Weiden, die uns umgeben, und müssen nicht verpflegt werden, da sie Wasser und Futter en masse haben. Duchess steht auf einem kleinen Paddock und wird gerade von Doug nach Natural Horsemanship ausgebildet und ich werde ihn dabei unterstützen. Tui ist gerade mal zwölf Monate alt und sie wird langsam an den Umgang mit Menschen herangeführt. Ich putze die kleine Maus, drehe ein paar Runden am Halfter mit ihr und füttere sie als Belohnung.
Workaway Canada: Mein neues Hobby – Quadfahren
Danach überreicht Doug mir die Schlüssel zu meinem Gefährt, das mich die kommenden Wochen durch das Unterholz bringen wird: mein eigenes Quad, hier ATV genannt. Ich kann es kaum erwarten, mich auf das Ding zu schmeißen und damit durch das kanadische Backland zu brettern! Ich helfe Doug nun beim Aufräumen Lagerhalle, wir schleppen Holzbohlen, schmeißen alte Trennwände auf den Pickup und machen Platz für den neuen Traktor, der in den nächsten Tagen kommen soll. Am Mittag sitzen wir zwei um den Mittagstisch und essen die leckeren Reste des Abendessens, bevor wir uns wieder aufraffen und zwei Stunden das Ausbildungsprogramm mit Duchess durchziehen. Die Gute ist schlecht gelaunt und es ist nicht wirklich eine Freude, an diesem Tag mit ihr zu arbeiten. Das ist aber auch die letzte Aufgabe für diesen Tag, ich schnappe mir noch einen Kaffee und steige dann, nachdem Doug mir eine kurze Einweisung gibt, auf meinem ATV. Und ich weiß bereits im ersten Moment, dass ich dieses Ding LIEBEN werden. Ich knattere mit 30 km/h (jaja, eigentlich viel zu schnell) über den Waldweg zu meiner Hütte und bin begeistert!
Workaway Canada: Urlaub vom Backpacking
Die kommenden Tage verbringe ich auf der Farm, lerne den täglichen Ablauf kennen, freue mich jeden Morgen auf die Viecher, genieße das wunderbare Essen, das uns Pat täglich auftischt, und bin happy, mal wieder einen Raum für mich zu haben. Mein eigenes kleines Reich in der Hütte mit eigenem Bad, einem Schrank, in dem ich all meine Habseligkeiten verstauen kann und nicht für jedes T-Shirt in meinem Rucksack abtauchen muss. Am ersten Wochenende auf der Farm bekommen wir Besuch von Dougs Bruder, seiner Frau und einem befreundeten Ehepaar. Wir machen einen Ausflug nach 100 Mile House zum Essen und nutzen den sonnigen Samstag für unseren ersten Ausritt. Auf den habe ich voller Ungeduld gewartet und ich freue mich riesig, als mir Doug eröffnet, dass er die hübsche Morab-Stute Cinder für mich vorgesehen hat. Er bittet mich, Cinder, Dakota, Little Rose und Brasslin von der Wiese zu holen. Das ist etwas anderes, als wenn man in Deutschland mal kurz zum Pferde einfangen geschickt wird. Ich nehme dafür den ATV und habe die Umgebung immer im Blick (wegen der Bären) als ich durch den Wald brettere, um meine kleine Herde zu finden. Nach mehr als dreißig Minuten Suche habe ich die vier endlich gefunden und mache mich mit ihnen zu Fuß auf den nicht unbeträchtlichen Weg zum Haus zurück.
Workaway Canada: Cinder schafft es in mein Herz
Die Infos, die ich von Doug zu Cinder bekomme, sind spärlich. Zwar sei sie nicht ganz einfach, aber eine erfahrene Reiterin wie ich käme schon mit ihr klar. Na, davon gehe ich aus und genieße den zweistündigen Ritt durch die beeindruckende unberührte Natur. Und Doug behält recht: Cinder und ich passen perfekt zusammen und verstehen uns prima. Nach dem Ritt nimmt mich Doug zur Seite und spricht mir sein Kompliment aus. Denn nun rückt er mit der Wahrheit raus: Cinder wurde schon Monate nicht mehr geritten, da eigentlich niemand wirklich mit ihr klarkommt und sie ihre Reiter gerne mal absetzt.
Ich bin froh, dass ich das nicht im Vorfeld wusste und ganz unbefangen auf das Pferd gestiegen bin. Doug auf jeden Fall ist beeindruckt und sagt mir, dass ich Cinder für meine Zeit auf der Farm als mein eigenes Pferd betrachten dürfe und so viele Ausritte wie ich wolle mit ihr machen dürfe – auch wenn ich alleine das Haus hüte. Ich freue mich über so viel Vertrauen und merke schon an diesem Tag, dass es Cinder in mein Herzchen schaffen könnte.
Workaway Canada: Und auf einmal ganz alleine in der Wildnis
Das eigentlich Besondere an meinem ersten Workaway ist ja, dass ich die Farm für knappe zwei Wochen alleine betreuen werde. Ausgestattet mit einer Liste von Telefonnummern für den Notfall verabschieden mich Doug und Pat am frühen Morgen, um sich auf die Reise in die USA zu machen. Am Tag zuvor haben Doug und ich eine ausgedehnte Shopping-Tour in 100 Mile House gemacht, damit ich in den zwei Wochen nicht verhungere. Ehrlich gesagt, freue ich mich riesig darauf, jeden Tag in dieser toll ausgestatteten Küche für mich zu kochen.
Als die beiden vom Gelände fahren, setze ich mich erst mal mit einer Tasse Kaffee in die Küche und überlege mir, wie ich meinen Tagesablauf so in den kommenden Tagen gestalte. Ich habe einige Aufgaben übertragen bekommen, die ich neben dem Versorgen der Tiere übernehmen werde, doch Doug und Pat haben es wirklich gut gemeint. Um zu wenig Freizeit muss ich mir auf keinen Fall Gedanken machen.
Workaway Canada: Keine Angst vor Psychopathen
Der erste Tag läuft entspannt ab, ich versorge meine Tiere, fahre mit dem ATV die Zäune ab, drehe mit Cinder und Duke eine Runde durch das traumhafte Gelände und sitze am späten Nachmittag glücklich auf der Terrasse und genieße die Sonne mit Katze Ivy auf meinem Schoß. Nachdem ich wenig später meine letzte Runde durch die Ställe gedreht habe, stelle ich mich in die Küche und bereite mir ein leckeres Abendessen zu, das ich mit echtem Qualitätsfernsehen (auch in Kanada gibt’s den Bachelor) zu mir nehme. Als ich so alleine im Nirgendwo in den riesigen Haus sitze, wird mir zunächst schon ein wenig mulmig. Mulmig vor allem deswegen, weil ich an die unabgeschlossenen Türen denke. Bevor Doug und Pat abgereist sind, habe ich mich nach den Schlüsseln erkundigt und Doug hat mich ein wenig verständnislos angeschaut. Er erklärte mir, dass er keine der Türen jemals abgeschlossen habe und daher gar nicht wüsste, wo die Schlüssel sind. Gut, dann bleiben die Türen eben offen …
Workaway Canada: Schock am ersten Morgen alleine
Die erste Nacht überstehe ich bestens, ich schlafe entspannt und mache mir keine Gedanken über irgendwelche Psychopathen, die mich im Schlaf ermorden möchten. Meine Tierpflege-Routine beginnt pünktlich am nächsten Morgen und nachdem ich Duke und die Ziegen versorgt habe, mache ich mich auf zum Hühnerstall. Nachts sind die Tiere immer geschützt im Stall und tagsüber draußen. Ich öffne die Stalltür und bleibe wie angewurzelt mit weit aufgerissenen Augen stehen. Zwar hüpfen mir einige der Hühner wie jeden Morgen freudig entgegen, doch mein Blick ruht auf den Tieren die leblos am Boden liegen. Ich kann nicht glauben, was ich da sehe und muss näher herangehen, um Gewissheit zu bekommen.
Vor mir liegt knapp die Hälfte der Tiere tot auf dem Stallboden. Ich kann mir nicht erklären, was passiert ist, suche zunächst nach Bisswunden oder ähnlichem, da ich mir keine andere Todesart erklären kann. Doch ich finde … nichts! Die Körper sind auf den ersten Blick unverletzt nur eben tot! Meine Gedanken überschlagen sich und ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich stürze ins Haus und rufe mit bebender Stimme Doug an. Die beiden sind gerade 24 Stunden weg und schon bricht die Katastrophe über mich herein.
Doug beruhigt mich und versichert mir, dass er weiß, dass ich nichts falsch gemacht habe. Er ist dankenswerter Weise sehr entspannt und wir überlegen, wie ich die Viecher am besten loswerde. Denn einfach mal so 20 Hühner entsorgen ist in Kanada recht schwierig. Sie müssen tief vergraben werden, damit Bären, Wölfe und Bergpumas sich nicht an den Kadavern satt futtern. Doug erklärt mir, dass ich seinen Freund Erik bitten soll, mir ein Loch im Wald mit dem Bagger auszuheben (ja, sowas gehört in Kanada zur Grundausstattung). Also gilt mein nächster Anruf Erik, der mir gleich eröffnet, dass er erst morgen einsatzbereit ist. Spitze! Und was mach ich dann mit den 20 angegammelten Hühnern? Ok, das wird wohl wieder mal ein nächster Riesenschritt aus der Komfortzone heraus. In Regenjacke, Gummistiefeln und mit Gummihandschuhen bewaffnet, mache ich mich zurück auf den Weg zum Ort des Grauens. Eins nach dem anderen schnappe ich mir die Hühner an den Beinen und schmeiße sie schwungvoll in einen kleinen Container. Dabei wird mir in regelmäßigen Abständen schlecht, denn der Geruch ist bereits jetzt schon mehr als unangenehm. Und über die schon leicht steifen toten Körper, die ich durch die Gummihandschuhe spüre, wollen wir gar nicht sprechen.
Workaway Canada: Ist ja klar, dann auch noch ein Bär
Kurze Zeit später habe ich alle Hühner in den Container gepackt und hieve das sauschwere Ding auf die Ladefläche des ATVs, ständig mit Übelkeit kämpfend. Diesen fahre ich dann in die große Scheune und stelle ihn dort bärensicher ab. Es ist kurz nach neun und der Tag ist für mich eigentlich schon gelaufen. Bei allen anderen Aufgaben muss ich immer wieder an die 20 Leichen denken, die in der Scheune auf ihre Beerdigung warten. Am frühen Abend tappe ich daher auch recht verwirrt mit Duke los, um einen kleinen Abendspaziergang zu machen. Rund einen Kilometer weg von der Farm biegen wir im Wald um eine Ecke und da steht er, mein erster Bär. Ich kann nicht glauben, dass mir das jetzt auch noch passieren muss. Denn natürlich habe ich an diesem Tag keinen Bear Banger dabei und bin, bis auf Duke an meiner Seite, völlig wehrlos. Der Bär ist zum Glück ein Stück entfernt, doch er hat uns bereits entdeckt. Ich durchforste mein Gehirn, was nun die richtige Verhaltensweise ist und entscheide mich dafür, mit zwei Ästen bewaffnet (sich groß machen) ganz langsam und ruhig den Rückwärtsgang einzulegen. Dieser Bär ist gnädig und verschwindet kurz darauf im Dickicht.
Workaway Canada: Entsorgung der Leichen
Als ich zu Hause ankomme, bin ich komplett durchgeschwitzt und einfach nur froh, als ich die Haustür zumache und den Tag für mich beende. Denn ich weiß, dass der nächste nicht viel besser wird, der erste Programmpunkt lautet: Beerdigung! Voller Grauen öffne ich morgens noch vor dem Frühstück die Scheune und bin erleichtert, dass ich mich bei dem Geruch nicht direkt übergebe. Ich starte den ATV und brettere mit den stinkenden, gammelnden Hühnern auf der Ladefläche und einem äußerst begeisterten Hund, der immer wieder seine Kreise um den ATV zieht, über hubbelige Feldwege Richtung Wald. Wenn es nicht so traurig und eklig wäre, wäre das Bild, das ich hier abgebe, die perfekte Vorlage für eine Klamauk-Komödie. Und natürlich passiert dann auch noch, was bei meinem Fahrstil passieren musste: Der Container kippt und ich verliere zwei Hühner. Also, anhalten, Handschuhe an und die zwei blauangelaufenen Viecher wieder einsammeln und weiterfahren. Auf der Lichtung im Wald treffe ich Erik, der bereits ein immenses Loch ausgehoben hat. Wortkarg schleppen wir den Container samt Inhalt zu dem Loch und werfen die Hühner in ihr Grab. Der Gestank ist unglaublich und ich befürchte, dass ich mich letztendlich doch noch übergeben muss. Aber nein, ich schlage mich wacker!!! Als ich wieder auf der Farm ankomme, bin ich wirklich stolz auf mich und wundere mich doch, wie handfest ich so als kanadisches Horsegirl bin …
Nach diesem „Zwischenfall“ genieße ich jeden weiteren Tag in der Einsamkeit, drehe täglich eine große Runde mit Cinder und Duke durch die traumhafte Natur, arbeite mit den anderen Pferden oder im Garten, brettere mit dem ATV durch unwegsames Gelände, koche in der wunderbaren Küche von Doug und Pat, nehme mein Sportprogramm wieder auf und verbringe ruhige Abende vor dem Kamin. Eigentlich ziemlich perfekt …
Workaway Canada: Nach 20 toten Hühnern jetzt auch noch der Hund?
Ein absolutes Highlight erlebe ich bei einem weiteren Ritt mit Cinder und Duke. Auf einem breiten Waldweg stoppen wir als wir rund 200 Meter entfernt einen Bären entdecken, der am Wegesrand steht. Als er uns erblickt, dreht er sich um und tapst zurück in das Dickicht. Einige Sekunden später ist er wieder da und kreuzt den Weg gefolgt von einem Bärenjungen. Ganz verzückt beobachte ich das Ganze von dem sicheren Rücken meines Pferdes. Den beiden folgt ein zweites Junges und dann kommt noch ein drittes aus dem dunklen Wald hervor. Ich bin ganz gebannt und unheimlich dankbar, dass ich das erleben darf.
Kurz unkonzentriert ergreift Duke seine Chance und hetzt hinter der Bärenmutter und ihren Babys hinter mir. Mir bleibt das Herz stehen, ich brülle nach ihm, doch er ist bereits im Unterholz verschwunden. Ich bin absolut überfordert und weiß nicht, was ich machen soll. In meinem Kopf gehe ich bereits das nächste Telefonat mit Doug und Pat durch, in dem ich ihnen nun berichten muss, dass nach den 20 Hühnern nun auch der Hund tot ist – zerfleischt von einer Bärenmutter. Doch rund fünf Minuten später bricht Duke abgehetzt aus dem Wald heraus und ich bin zutiefst erleichtert.
Workaway Canada: Meine kanadischen Eltern kehren zurück
In der Zeit, die ich alleine auf der Farm verbringe, sehe ich insgesamt 10 Bären, zum Glück alle aus sicherer Entfernung und denke manchmal sehnsüchtig an Deutschland, wo die größte Gefahr im Wald ein Wildschwein ist. Doch das Landleben in Kanada gefällt mir – sehr! Und ich bin mehr als dankbar, dass ich diese besondere Erfahrung des Alleinseins dort machen darf. Still und heimlich plane ich schon, dass es auf jeden Fall ein zweites Mal auf der Farm geben muss.
Ich freue mich richtig, als die Zwei nach ihrem 14-tägigen Urlaub wieder zurück sind und auch gleich ein befreundetes Pärchen mitbringen. Die Tage verbringe ich nun wieder mit Doug draußen, wir hacken Holz (oder lassen das Holz von der Maschine hacken), erneuern die Zäune rund um den Besitz und donnern mit den ATVs durch den Wald. An den Abenden genieße ich das wunderbare Essen von Pat und danach spielen wir meist eine Runde Karten am großen Küchentisch. Langsam plane ich auch meine Weiterreise und entschließe mich, die letzten Wochen meiner Weltreise nochmal in der Wärme – genauer zurück in Zentralamerika – zu verbringen. Wenige Tage später mache ich alles fix: Ich buche meinen Flug nach Guatemala City und hecke eine Reiseroute aus.
Workaway Canada: Letzter Stop: Vancouver – again!
Mein letzter Abend mit Pat und Doug ist ein toller: Wir sind bei Freunden zum Dinner eingeladen und speisen fürstlich. Ich merke, dass es mir schwer fallen wird, die beiden und all meine Tiere zurück zu lassen. Doch das ist nun mal das Reise-Leben! Am nächsten Morgen nehme ich Abschied von Pat und all meinen Vierbeinern bevor mit Doug zum Greyhound-Bus bringt.
Nach knapp acht Stunden erreiche ich endlich, mal wieder, Vancouver. Fühlt sich fast schon wie ein Zuhause an. Dort erwartet mich am Busbahnhof Dot, den ich in Ecuador kennengelernt habe. Wir verbringen einen letzten tollen Abend in VAN City, bevor es am nächsten Morgen für mich über Denver nach Guatemala City geht.
Jewels, einer meiner tierischen Freunde auf der Farm
Meine Truthähne genießen einen Tag im Garten
Auf dem Pferd und mit Hund Duke an der Seite erkunde ich die kanadische Wildnis
Manchmal kommt man auch mit einem ATV nicht weiter
Duke wartet schon im Auto, um zur abendlichen Bär-Patrouille aufzubrechen
Mein Herzenspferd: Cinder
Wichtiges Accessoire in Kanada: das Gewehr, um bei möglichen Zusammentreffen mit Bären gewappnet zu sein.
Frisches Gemüse gab es täglich selbst geerntet aus dem Garten
Der eigene See gehört in Kanada zum guten Ton
Mein kanadisches Zuhause
Ist der nicht cool? So sind Duke und ich durch die Wildnis gebraust
Mein liebstes Spielzeug: ein ATV bzw. Quad. Mehr Spaß geht im Wald kaum
DIE GASTAUTORIN
Mitte 2015 kündigt die PR-Managerin Laura ihren Job um sich endlich ihren Traum zu erfüllen: Eine Reise um die Welt. Seit November 2015 ist sie nun unterwegs und berichtet auf ihrem Blog www.goseekhappy.wordpress.com über ihre Stationen und den Reisealltag. Ein Jahr soll das Abenteuer dauern – mit Option auf Verlängerung!
4 Kommentare
Mega! Ich bin sprachlos… hört sich großartig an. Finde es überragend das es solche Menschen gibt. Hab Gänsehaut, weiter so!
Das klingt einfach zu idyllisch, um wahr zu sein ?. Sehr spannend geschrieben, ich hab den Artikel verschlungen. Welche Workaway-Plattform kannst du denn empfehlen? Danke schonmal!
Wow, was für eine tolle Erfahrung! :) Ich hatte auch überlegt sowas wie Work & Travel nach meinem Studium eventuell in Kanada zu machen.
Ich habe deinen Blog gerade erst entdeckt und werde jetzt definitiv häufiger vorbeischauen.
Cool, freue mich total!