Sechs blaue Plastiktonnen stapeln sich drei Meter hoch in den trüben Himmel. Mit gebückten Rücken und den Händen nach oben gestreckt, läuft ein schmächtiger Mann durch die Straße. Sein Blick ist starr auf den Boden. Er vertraut darauf, dass die Menschen ihm aus dem Weg gehen oder schreit laut „Menged“.
Sein Weg ist beschwerlich, vorbei an Autos, die ihren Weg durch die engen Gassen bahnen, Ziegen die seinen Weg kreuzen und immer wieder gefährliche Schlaglöcher auf dem staubigen Weg. „Das ist auch für mich eine andere Welt“, sagt Haile und schaut nervös. Der Merkato von Addis Abeba in Äthiopien ist der größte Markt von Afrika. Es ist ein Irrgarten mit tausend Menschen und noch abertausenden Produkten. Typisch für einen afrikanischen Markt, spielt sich hier alles auf dem Rücken, Kopf oder Boden ab. Esel mit Plastikdecken auf dem Rücken laufen vorbei, die uns heute morgen auf dem Weg zum Hausberg Entoto mit Holz auf den Rücken entgegen gekommen sind. Die Ware wird auf dem Kopf transportiert. Der Boden ist voller Frauen, die Knoblauch und Ingwer verkaufen.
Immer wieder kommen Händler auf uns zu, wollen Käseraspeln verkaufen oder billige Taschen aus China. „Menged! Menged!“, ein Mann mit drei Badewannen auf dem Kopf möchte vorbei. Es gibt keinen einzigen ruhigen Fleck, auf dem man schauen könnte, um das alles kurz sacken zu lassen.
„Where are you from?“, fragt mich ein Mann mit einem dreckigen Lappen in der Hand.
„Germany,“ antworte ich schüchtern.
„Oh Bayern Munchen, Bayern Munchen.“ Der zahnlose Schuhputzer macht mit seiner voll Schuhcreme beschmierten Hand eine Bewegung zu seinem Brustkörper, das wohl seine Zuneigung für Bayern München ausdrückt und lacht mich an. Irre, wie allgegenwärtig Fußball ist. Ich frage, ob ich ein Bild von ihm machen darf? Er nickt begeistert mit dem Kopf und schmeißt sich in Pose.
Ich habe diesmal Glück. Auf dem Merkato weiß man nie, was passiert, man weiß nicht, was sich in der nächsten Gasse verbirgt, ob Sattler ihr Leder schneiden, ob Frauen Kaffeebohnen mahlen oder sich eine zehn Meter lange Reihe von Schneidern an der Mauer aufreiht, die konzentriert das Pedal ihrer Nähmaschine drücken. Genauso ist es mit den Menschen. Die Reaktionen einzuschätzen, fällt mir schwer. Die einen ziehen beim Anblick der Kamera ihre Jacke über das Gesicht, die anderen kommen auf einen zu und wollen Geld. Heute morgen hat eine ältere Dame mit tiefen Falten und bunten Kopftuch nach einem Stein gegriffen. Der zahnlose Schuhputzer freut sich, und auch die Schulkinder, die stolz in die Kamera lächeln. „Macht schnell euer Foto und dann geht weiter. Geld geben ist nicht gut. Das haben die Touristen angefangen und jetzt sind die Leute hier verwöhnt,“ erklärt Haile. Haile führt seit sieben Jahren Touristen über den Merkato von Addis Abeba. Er kennt das Gelände wie seine Westentasche und auch das Leben auf dem Markt. Trotzdem ist es auch für ihn jedes Mal eine andere Welt, die er nicht versteht. Würde ich ihn hier verlieren, wäre ich verloren. Sein Blick ist aufmerksam, er passt auf, dass keiner verloren geht und wimmelt Bettler ab. Es fällt mir schwer den bettelnden Frauen, die mit ihrem Kind auf dem Arm ankommen und etwas Kleingeld wollen zu ignorieren, aber ich darf nicht schwach werden. „Ihnen Geld geben löst keine Probleme. Man muss sie beschäftigen, ihnen Arbeit geben,“ erklärt Haile. „Sonst stehen sie immer da, schicken die Kinder nicht in die Schule und nichts ändert sich. Zwanzig Prozent der Bevölkerung sind laut Regierung arbeitslos in Addis Abeba. Haile schätz die richtige Zahl auf 50%. Wenn man durch die Stadt fährt, sieht man zahllose Menschen, ohne Beschäftigung. Sie sitzen unter selbstgespannten Plastikplanen am Straßenrand und versuchen sich mit ein paar Bananen etwas Geld zu verdienen. Das sind die Optimisten. Die Träumer sitzen im Schatten und kauen – Kath. Diese Droge bringen sie für ein paar Stunden weg aus dem Chaos und Elend. Sie träumen von der Zukunft. Wenn die Droge nachlässt, werden sie ganz müde und wenn sie wieder aufwachen, haben sie vergessen, was in ihren Träumen alles möglich war. Die Kath-Blätter zerstören eine ganze Generation. Sie treibt sie in die Aussichtslosigkeit und nimmt ihnen jegliche Hoffnung. Verboten ist das Kraut jedoch nicht.
Wir gehen weiter, durch Ladenstraßen. Vorbei an den Ständen mit Kunsthandwerk und traditioneller Bekleidung, hinein in die Recyclingabteilung. Es stapeln sich alte Ölfässer, neben Plastiktüten und Elektrogeräten. Ein Mann sitzt auf der Straße und schlägt mit dem Hammer auf ein Gerät ein, dass noch die letzten Erkennungsmerkmale eines ehemaligen Faxgerätes aufweist. Er zerstört es komplett und sortiert die einzelnen Teile sorgfältig. Findet er etwas wertvolles, beispielsweise ein Stück Kupfer, trägt er es in seine Wellpappenhütte. Daneben sitzen Männer auf Plastikkanistern, ziehen Nägel aus Holzstäben, biegen sie gerade und verkaufen sie weiter. Diese Menschen haben Hoffnung. Man spürt den Elan und Tatendrang, den Wunsch etwas zu verändern. Nicht nur einen Nagel, auch das Leben. Ein gutes Tagesgeschäft liegt bei 50 Birr, das sind umgerechnet circa 2 Euro und für uns kaum vorstellbar.
Der Merkato von Addis Abeba ist nicht nur ein Sammelsurium an Waren, Gerüchen und Eindrücken, es ist auch das zu Hause von vielen Menschen, die hinter ihrem Ladengeschäft in kleinen Hütten wohnen. Es ist eigentlich kein Markt, es ist ein Lebensmittelpunkt. Ja, vielleicht schon ein 8.Weltwunder, weil für uns Europäer unvorstellbar ist, wie das hier alles funktioniert.
Es wird hier nichts auf und abgebaut, es wird hier gelebt. Jeden Tag von morgens bis abends. Es ist ein eigener Stadtteil, eine andere Welt.
Nach 90 Minuten auf dem Merkato von Addis Abeba habe ich in jeder Hinsicht eine Reizüberflutung und steht nur noch mit offenem Mund da. Als ich wieder auf meinem Bett im Hotelzimmer sitze, schaue ich erst einmal 20 Minuten an die weiße Wand und genießt die Ruhe. Doch dann, dann möchte ich eigentlich wieder zurück und mehr von dem Leben aufsaugen. Man sieht Armut, man sieht kranke und verzweifelte Menschen, aber auch Freundschaft, Hoffnung und den Glauben, dass wenn man in Bewegung bleibt, sich auch etwas ändert.
Tipps für den Merkato von Addis Abeba:
- Neulinge sollten sich einen Führer nehmen. Sonst heißt es Lost in Merkato.
- Keine große Spiegelreflexkamera mitschleppen. Man sagt: „Die einen kommen zum Kaufen, die anderen zum Klauen. Ich hatte die kleine Nikon Coolpix S800c dabei, aus der ich locker aus der Hüfte meine Fotos geschossen und sie anschließend mit Apps bearbeitet habe.
- Beim Kauf ist Feilschen angesagt. Angeblich kann man hier um alles feilschen, sogar um eine neue Seele.
- Festes Schuhwerk anziehen. Wenn es regnet, geht es hier schlimmer zu als beim Glastonbury Festival
- Sonntag hat der Merkato geschlossen
Ansonsten ein wirklich einmaliges Erlebnis, das man so schnell nicht vergessen wird.
Mit freundlicher Unterstützung von Nikon, Ethiopian Airlines, Paradise Ethiopia Travel/African Dreams und unseren Haile.
21 Kommentare
So schön deine Bilder von Traumstränden waren, gefesselt haben sie mich nie und die Artikel habe ich erst gar nicht mehr gelesen. Diesen hier aber habe ich verschlungen, das interessiert mich. Denn dies zeigt doch, wie die allermeisten Menschen dieser Welt leben. Wir im reichen Europa mit unseren – angesichts der Realität in weiten Teilen der Welt – lächerlichen Problemchen wissen immer noch viel zu wenig über das Leben außerhalb unsrer Hemisphäre. Badeurlaube in Antalya, in Tunesien, Ägypten und Kenia oder gar Flugreisen in die Dom. Rep. oder nach Thailand gaukeln doch meist nur eine für Touristen erzeugte Scheinwelt vor, am Besten noch mit angeheuerten Hula-TänzerInnen zur Belustigung beim abendlichen Barbecue. Das ist als bildeten unsere vielen Freizeitparks und Disneyworld den westliche Alltag ab.
Als Reisebericht empfinde ich diesen als einen deiner stärksten. Interessant wären die Hintergründe, aber das sprengt den Rahmen deines Blogs. Danke für diese Reportage.
Welchen Hintergrund meinst du denn? Ja, ich liebe es wirklich, das Unentdeckte. Welches Land würde dich den interessieren?
toll, spannender bericht und tolle fotos mit leben, christine.
War mir fast zu spannend ;) Aber vielen, lieben Dank für das Lob!
Ich meine die Hintergründe für diese Form der Armut. Mich interessiert jedes Land.
schön zu lese. wie immer <3
Dankeschön <3
Wie kann man so schlechte Fotos schießen?
Ich fliege am 31.10. nach Äthiopien, deine berichte sind ne gute einstimmung . Meinen bericht kannst du dann ende nov . Lesen unter http://www.atamatoa.de. Gruesse ronald müller , habe dich gerade bei facebook geaddet
Viel Spaß! Was machst du denn alles?
Ich bin in Addis Abeba, genauer gesagt in Addis Ketema, geboren und groß geworden. Daher kenne ich den Merkato sehr gut. Ich kann den Bericht nur in höchsten Tönen loben. Christine, ich war während des Lesens gedanklich kurz in Merkato. Danke für tollen Beriecht. So wie Du beschrieben hast habe ich den Merkato in Erinnerung. Ja, so ist der Merkato!
Oh man, wenn du da groß geworden bist, würde ich sehr gerne einmal mir dir über den Markt laufen. Bist du noch oft in Äthiopien?
arme lande
Was hast Du zu bemängeln? Gute Objekte, prima belichtet ! Ich habe selbst schon oft auf dem Merkato fotografiert (meist mit verborgener Kamera) und weiß wie schwer das ist. Man hat keinen ruhigen Standplatz; es ist wahnsinnig voll; alle schieben, drücken und haben es eilig. Die meisten wollen nicht fotografiert werden, manche werden aggressiv. Am Besten geht es noch, wenn Du mit einer Familie unterwegs bist, die richtig einkauft. Ist eine ältere Frau dabei wirkt das Wunder.
Hättest du noch den Kontakt zu deinem Führer? Fliege morgen nach Addis und hätte riesen Lust mal auf den Mercato zu gehen nach deinem faszinierenden Bericht :D
Liebe Grüße
Leider nicht :(