Eine orangene Hawaiikette landet in meinem Gesicht. „Hooooeee gaaaaat det?“ [Wie geht’s?] Vor mir steht eine völlig hyperaktive Mitbewohnerin, die es kaum erwarten kann auf die Straße zu rennen und schon für alle im Haus wundervolle knallorangene Hawaiiketten besorgt hat. Durch das Fenster erklingen die ersten Bässe und in orange gehüllte Boote schippern an unserem Haus vorbei. Heute ist King’s Day in Holland – die Party des Jahres – und wir sind mitten drin. Während ich völlig verpeilt in meinem Schlafanzug durch die Wohnung tapse, hat sich Gesa gerade mal aus dem Bett geschält. Orange ist das Motto des heutigen Tages, und damit sind wir auch schon gleich zu Beginn des Tages leicht überfordert.
Wie zwei Lilies die große Welt des King’s Days in Amsterdam entdecken.
King’s Day. Das ist für zwei Mädchen aus einem Land ohne König und Königin wie das Jolkafest in Russland – wir kennen den Namen, wissen aber eigentlich überhaupt nicht was da passiert. Wir wissen von nichts. Alles was ganz schnell ganz klar scheint ist, dass die neue Farbe der Saison orange ist. Gesa rennt aufgeregt vom Fenster zu mir: „Anne, wir werden auffallen!“ Was sie damit meint ist, dass die orangene Hawaiikette, die orangene Sonnenbrille und die orangene Krone, die sie im Haar trägt noch immer nicht genug sind um sich angemessen unter die holländische Masse zu mischen.
Dieses Jahr ist der 27. April für die Holländer noch viel besonderer als die Jahre zuvor. Denn dieses Jahr wird das zweite Mal der König und nicht die Königin von Holland gefeiert. Warum? Weil seit 2014, nachdem Königin Beatrix abgedankt hat, nun König Willem Alexander die Niederlande regiert. Deswegen wanderte der Königinnentag vom 30. April zum Königstag am 27. April: Zusammen mit Sint Maarten, Aruba und Curacao feiern wir heute, in orange, den Geburtstag des Königs. Wow.
King’s Day in Amsterdam: Frühstücken wie ein König
Wer vorhat den ganzen Tag durch die Straßen von Amsterdam zu ziehen, der sollte sich vorher ein fettes Frühstück sichern – als Grundlage, versteht sich. Der King’s Day in Amsterdam ist ein bisschen wie ein Feiertag in Deutschland und genau deswegen haben alle Läden an diesem Tag geschlossen. Wir haben jedoch Glück und finden in der Elandsgracht einen Albert Heijn, der lokale Supermarkt, der uns noch das Nötigste verkauft. Tausende von Schildern warnen uns allerdings, dass wir nur eine (!) Dose Bier bekommen und nur eine Flasche Alkohol pro Person. Gut, dass wir uns gestern schon alkoholisch aufgerüstet haben. Die Grachten haben sich mittlerweile in ein Hippie-Paradies verwandelt: Links und rechts Second-Hand-Stände, zwischendrin verkaufen kleine Kinder ihre selbstgemachten Muffins und der Opi von nebenan sein Poffertjes.
King’s Day in Amsterdam: Auf geht’s, Boote schauen
Gesa und ich haben uns langsam aklimatisiert und stehen wie zwei Omis am Fenster. Wieso? Weil die Grachten sich so langsam füllen und die ersten Boote mit Pauken und Trompeten vorbeiziehen. Zum ersten Mal verstehe ich, warum Omis sich immer Kissen zwischen die Ellenbogen und die Fensterbank legen.
Unsere Laune kann jetzt allerdings nichts trüben. Unsere Musik vermischt sich mit der holländischen Folklore von draußen und den letzten David Guetta Bässen, die das Pacha-Boot hinter sich herzieht. Munter winken wir den vorbeifahrenden Partyleuten zurück. King’s Day, wir lieben dich jetzt schon!
King’s Day in Amsterdam: Wer nicht Boot fährt, der hat den King’s Day nicht erlebt
Ja, das ist ein Statement, aber so ist es. Ganz Holland ist an diesem einen Tag auf der Straße und 90% davon auf dem Wasser. Auch bei uns, im Herzen von Amsterdam, füllen sich die Grachten langsam mit viel zu vielen Booten, so dass sich ein Wust von Booten bildet, die alle im gleichen Tempo vor sich hin schippern. Auch wir haben nach unserem Königsfrühstück noch ein verdammt großes Highlight vor uns: eine Bootstour mit echten holländischen Männern. Nein, wir sind nicht bei den Chippendales oder so gelandet. Gesa hat ihre magischen Finger gewirbelt und uns einen 1A Bootstrip für den King’s Day organisiert. Der Traum eines jeden Amsterdamers. Einzige Bedingung? Wir müssen mit 35 fröhlich betrunkenen Holländern klarkommen – und das auf einem Boot.
King’s Day in Amsterdam: Canal Motorboats, oder: wie wir 35 Holländer überlebten
Wir sind natürlich viel zu spät, weil wir an der falschen Seite vom Hauptbahnhof in Amsterdam stehen, weil wir uns durch gefühlte Tausende von orangenen Menschen quetschen mussten und weil wir zu lange mit Bootegucken beschäftigt waren. Gesa und ich rennen ganz aufgeregt die Straßen entlang, voller Panik das Boot mit unseren Holländern zu verpassen. Zaghaft schmulen wir durch das Gitter vom Eingangstor und hoffen, dass sich noch einer der Jungs an diese eine E-mail erinnern kann, die wir geschrieben haben.
Und zack, es klappt! Wir sind drin, bekommen 35 freudige und tiefe Hallos von den Jungs und schauen uns zaghaft das Boot an, das uns nun den ganzen Tag durch die Grachten von Amsterdam schippern soll.
„Ja, wir haben extra das ganz alte Boot herausgekramt“, sagt Finn, dem zusammen mit seinem Vater der Bootsverleih Canal Motorboats gehört. Vor uns steht eine sympathische Schrottmöhre mit Charme, die normalerweise Platz für eine gemütliche Runde von 10 Leuten hat und heute mal mit satten 35 männlichen Holländern und zwei verschreckten Lilies bestückt wurde.
Die letzte Pullerpause wurde geschlossen und auf geht’s, wir stechen in, ähm, die Gracht, Männers. Gesa und ich hängen uns elegant an die Seiten des Bootes, nicht weil wir cool aussehen wollen, sondern weil dies der einzige Platz ist, den wir noch finden konnten. Wir schippern unter der ersten Brücke hindurch, schreien das erste Mal „Lang leve de Koning“ [Lang lebe der König!] und sind so aufgeregt wie schon lange nicht mehr.
King’s Day in Amsterdam: Aus der Not heraus, werden Freundschaften geknüpft
Die Jungs sind bester Laune, die Massen rufen uns von den Brücken und vom Rand der Grachten zu und die anderen Boote übertönen sich gegenseitig mit Musik – nur unserem Motor gefällt dies eher weniger. Nach knappen 5 Minuten auf dem Wasser sagt der Motor der Schrottmöhre adé und uns bleibt nichts anderes übrig, als andere Boote zu überreden uns abzuschleppen. Und hier ist der Knackpunkt: Ich bin der festen Überzeugung, dass uns jeder einzelne Mensch in Deutschland, der ein kleines Boot mit 35 Menschen sieht, den Vogel gezeigt hätte, wenn er oder sie uns hätte abschleppen sollen. Den Holländern ist das egal. Freudig wird ein Seil nach dem anderen an unsere Schrottmöhre gehängt, sodass wir mit dem Schwall an anderen Booten weiterhin durch die Grachten schippern können. Mittlerweile sind wir auch schon 40, denn auch ich habe inzwischen mitbekommen, dass dieser dumpfe Aufprall, der ab und zu ertönt, jedes Mal ein weiterer Gast ist, der es gewagt hat von der Brücke auf unsere Bootje zu springen.
King’s Day in Amsterdam: Es ist immer Zeit für ein Käse-Sandwich
Und weil es sowieso schon viel zu schön auf unserem Boot ist, toppt Ron, Finn’s Papa und der Mitbesitzer von Canal Motorboats, es noch und schmeißt eine Runde Käsebrote für alle. Schon lange nicht mehr habe ich mich so über ein Käsebrot gefreut. In diesem Moment ist es passiert – ich bin der größte Fan vom King’s Day in Amsterdam geworden. Und Gesa hängt nun seit gefühlten Stunden irgendwo am Rande des Bootes und ist ebenso lange nicht mehr ansprechbar – vor Begeisterung.
King’s Day in Amsterdam: Der perfekte Ausklang
King’s Day ist allerdings noch lange nicht King’s Day, wenn man nur auf dem Boot rumhängt. Die Jungs bereiten uns auf DIE Party vor und während Finn ganz elegant das Tau über den Nubbel an Land wirft, springen die ersten Jungs schon vom Boot. Saxophone erklingen, dazu die besten Songs, die es jetzt nur geben kann. Wir sind einfach nur glücklich und tanzen ausgelassen zur untergehenden Sonne. 40 Holländer und wir auf der After Party am Waterlooplein – was kann es Schöneres geben? Amsterdam, wir kommen wieder! Zum nächsten King´s Day! Und bestimmt auch zum Übernächsten!
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