Vor acht Stunden bin ich wieder in Berlin gelandet, habe mir nach der 18 Stunden Reise ein Taxi gegönnt und irgendwie ist es komisch. Ich saß im Taxi und dachte kein einziges Mal, dass es jetzt aus ist und ich sterbe. Außerdem hat niemand gehupt und das bei einer Fahrt von über dreißig Minuten. Die letzten zwei Wochen hat sich schon mein Magen verkrampft, wenn ich ein Fahrzeug betreten habe und ich habe mir nonstop das Mantra aufgesagt: „Alles wird gut. Alles wird gut. Es wird schon nichts passieren. Wir werden kein anderes Auto, kein anderen Menschen und auch keine Kuh überfahren. Die Inder wissen schon, wie sie das Chaos beherrschen.“ Angeblich ist hier der Straßenverkehr wie ein Fluss. Also so wurde es mir erklärt. Es läuft ein Abwärts- und ein Aufwärtsstrom nebeneinander und man lässt sich einfach so mit treiben. Hier würde keiner auf die Idee kommen noch mal aufs Gaspedal zu drücken, weil er überholt wird und es dem anderen nicht gönnt. Dafür wird hier gehupt, dass man fast einen Tinnitus bekommt.
Gerade lauf ich durch die Straßen von Berlin. Im Kopf noch Indien, im Herzen auch. Ich habe ein Lächeln im Gesicht doch bin etwas enttäuscht. Hier bin ich wieder ein Nichts. Hier will keiner ein Foto von mir, was ich etwas schade finde, aber dafür werde ich auch nicht ununterbrochen angequatscht, ob ich einen Sari, Gewürze, einen aus Marmor geschnitzten Elefanten, ein paar neue Lederschuhe, Schals, Kissenüberzüge oder Tagesdecken will. Ich bin auf dem Weg zu meinem Handyladen, weil mein Vertrag bald ausläuft und überlege mir, ob ich mein neu erlerntes Handeln einsetzen soll? Wenn er mir ein Angebot macht einfach mal die Hälfte sagen, dann die Augen rollen, wenn er mit dem Preis nicht runter gehen möchte, so tun, als würde ich den Laden verlassen und kurz vor der Tür treffen wir uns doch in der Mitte des Anfangspreises. Wäre mal lustig das auszuprobieren, ich würde aber, glaube ich, nicht weit kommen…
Ich bekomme oft die Frage, ob mich das Reisen verändert. Die letzten Jahre habe ich meistens nein gesagt. Klar, am Anfang, vor drei Jahren, als ich angefangen habe so viel zu reisen und auch recht viel alleine unterwegs zu sein, hat mich das Reisen geformt. Es hat mir unglaublich viel beigebracht. Nicht nur über das Land und die Leute, sondern auch über mich. Doch irgendwann war ich fertig geformt. Ich wusste, wer ich bin. Ich kannte meine Stärken und meine Schwächen. Auch meine Reise in die Antarktis hat mich zwar zutiefst beeindruckt und war unvergesslich, aber sie hat mich als Mensch nicht verändert. Doch Indien, war anders.
Was aber, glaube ich, das Reisen wirklich ändert – die Zeit rennt noch mehr. Ich habe mal einen Artikel über das Zeitempfinden gelesen. Wenn wir älter sind, dann rast die Zeit angeblich noch schneller, weil wir viel mehr Dinge haben, an die wir uns erinnern, wenn wir an „nichts“ denken. Schon allein Indien hat wieder 1.000 Gedanken und Erinnerungen in mir frei gesetzt und ich finde es so irre, vor 24 Stunden noch durch Fort Cochi spaziert zu sein und jetzt in Berlin. Indien hat mich verändert.
Wenn noch einmal jemand sagt, dass Berlin dreckig ist, dann muss ich lachen und möchte sagen: Fahrt mal nach Indien. Wenn sich jemand im Supermarkt beschwert, dass fünf Leute noch vor ihm stehen und er gerne eine zweite Kasse haben möchte, dann muss ich lachen und möchte sagen: Fahr mal nach Indien. Wenn sich irgendeiner nur noch einmal über die BVG oder DB aufregt muss ich lachen und möchte sagen: Fahr mal nach Indien.
Klar ist Indien nicht der Maßstab, doch Indien zeigt, wie eine ganz andere Welt irgendwie existieren kann. Wie das absolute Chaos funktioniert. Das wünsche ich mir zwar nicht für uns, sondern dass wir uns ein bisschen an das Leben anpassen. Dass wir uns nicht immer über jeden Scheiß aufregen, dass wir akzeptieren, dass eben nicht ALLES geht, obwohl wir schon so viel haben. Indien hat mir meine Schwächen gezeigt und Grenzen. Indien war für mich eine Entschleunigungskur im Chaos. In Indien habe ich meine innere Ruhe gefunden und im Gepäck mit nach Hause genommen. Indien war eine Reise, die mich verändert hat. Mein Denken, mein Fühlen und ich hoffe auch mein Handeln
Wenn es möglich wäre, dann würde ich Indien als Rezept verschreiben, nur um einige mal wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen und ihr eigenes Leben zu überdenken und für alles, was sie hier haben dankbar zu sein.
9 Kommentare
Toller Beitrag. Ich war vor 3 Jahren in Indien und es hat mein ganzes Leben auf dem Kopf gestellt. Frage wo hast du diesen Wunder Schönen Schal gekauft ???
In Indien ;)
wundervoller Beitrag! Ich war leider noch nie in Indien, aber ich kenne deine Gedankengänge ein wenig aus Vietnam…
Super Beiträge über deine Indien Reise . Ich spüre den Drang dir zu sagen dass ich seit längerem mich vegan ernähre. Ich habe mich intensiv mit dieser Materie beschäftigt, und bin mir überzeugt das es der beste Weg für die Gesundheit und der Umwelt ist. Ich wünsche dir alles alles gute.und noch viele tolle Reisen
Das ist doch super!
Schöner und sehr wahrer Beitrag! Ich war das letzte halbe Jahr in Budapest und mir ist auch aufgefallen, dass wir uns hier in Deutschland so oft über Sachen beschweren, die in anderen Ländern normal sind. Und ich will auch unbedingt mal nach Indien. Was ich noch fragen wollte: warst du zufällig gestern bei der ITB? Habe überlegt ob du das bist aber mich dann doch nicht getraut zu fragen :D
Ja war ich :) 3 Tage!
Sehr, sehr schöner Beitrag!! Reisen verändert vielleicht nicht den Menschen an sich, aber es erweitert das Bewusstsein und verändert den Blick sowohl auf seine Welt als auch die Welt im Allgemeinen!
Danke für den schönen Beitrag!
So ein schöner Text. Ich fliege morgen nach Indien, das erste mal und lese mir gerade Erfahrungsberichte durch um meine kleine Angst die langsam kommt in Vorfreude zu verwandeln. Das hat dein Text aufjedenfall geschafft 😊.. Und dein Eintrag über Hampi hat meine Reiseroute etwas verändert. Hampi steht definitiv auf meiner To do in India. 🇮🇳🙏😊